Wenn sich ein Autor vornimmt, dem Geheimnis großer Literatur auf die Spur zu kommen, die großen Stilisten von den weniger großen zu unterscheiden und uns Lesende auch über die gelungene Metaphorik aufzuklären beabsichtigt, muss er entweder von stupender Literaturkenntnis oder Überschätzung seiner selbst nur so strotzen. Benennt der Autor sein Werk dann auch noch „Die Schlange im Wolfspelz“ hat er meine Aufmerksamkeit gewonnen. Und schon nach wenigen Seiten reiben sich die Lesenden die Augen über Sätze, wie die folgenden: „Der Einfall ist eine der wichtigsten Kategorien des Stils. Er macht sich vor allem durch sein Fehlen oder durch Fülle bemerkbar. Bei Polgar haben wir einen Einfall pro Satz. Bei Schnitzler haben wir keinen Einfall pro Seite – gut ist er trotzdem. Die meisten Einfälle pro Seite hatte Vladimir Nabokov. Aber auch Hildegard Knef hat eine Menge.“ Hätte Michael Maar den Halbsatz nach dem Gedankenstrich nicht eingefügt, wäre die Lektüre des Buches hier für mich bereits zu Ende gewesen.
Nur wenig später zitiert er Schopenhauer: „Für eine gelungene Rede gerbrauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.“ Leider hält unser Autor sich nicht immer an diesen Leitsatz. Statt „gewöhnlicher Wörter“ überhöht er häufig seine Urteile mit einer Fülle von Fremdwörtern. So heißt es beispielsweise: „Der Hauptakteur heißt >Heimo< und hat ein kleines SM-Penchant.“ Eine kleine SM-Neigung hätte es wohl nicht getan. Dabei hat der Autor diese „Bildungshuberei“ gar nicht nötig. Er ist ein exzellenter Kenner der (nicht nur) deutschsprachigen Literatur. Jedoch scheint er sich der Fallhöhe seines Unterfangens stets bewusst zu sein.
Zuweilen schießt er in seinen Skizzen aber über das Ziel hinaus. Über Walter Benjamin schreibt er: „Der Mix aus Messianismus und Marxismus machte ihn für alle bedeutend, die mit dem jeweils einen allein unbefriedigt gewesen wären. Wenn schon Klassenkampf, dann mit Aura. Oder wenn schon Mystik, dann materialistisch. Dazu ein Freitod auf der Flucht vor den Nazis und ein dunkler Stil…“ Das nenne ich schamlos!
„Metaphern sind die Goldkörner im Klondike der Prosa…“ darf ich den Autor mit einer seiner vielen Metaphern zitieren. Aber auch bei ihm gelingen nicht alle Bilder, was der Schreiber dieser Zeilen als beruhigend empfindet. Über Gertrud Leutenegger schreibt der Autor, sie schreibe, musikalisch gesprochen (!), „eher in der Chopin-Tonlage als in derjenigen Bruckners“ Nun ist der erstgenannte Tonsetzer im Vergleich zum zweiten kein Sinfoniker. Unser Autor vergleicht hier also Äpfel mit Birnen.
Großartig ist die Auswahl der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die er unter die Lupe nimmt. Allein die wenigen Seiten über Rahel Varnhagen lohnen die Lektüre dieses Buches. Und nach der Lektüre dieses Buches werden die meisten Lesenden zukünftige Lektüren aufmerksamer, ja kritischer rezipieren.
Didaktisch geschickt hat Michael Maar zwei Frage- und Antwortspiele in das Buch eingefügt; auch geschickt, dass er gegen Ende des Buches das „Pikante“ in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt.
Eine lohnende Lektüre!