Es gibt ein Standardwerk für die Kunstgeschichte: „Die Geschichte der Kunst“ von Ernst H. Gombrich!
Für Laien – wie mich – bestens zur Einführung in die Kunstgeschichte geeignet. Gombrich nimmt die Lesenden vom Beginn der Geschichte bis in unsere Zeit mit. Er starb 2001, so dass neueste Strömungen nicht berücksichtigt sein können. Das Material ist aber so umfangreich, dass zum Lernen und Schauen genug ausgebreitet wird.
Gombrich breitet neben der Malerei auch die Baukunst und die Bildhauerei vor den Lesenden aus. Ich beschränke mich bei meiner knappen Zusammenfassung auf die Malerei. Er verwendet viel Zeit darauf, die Lesenden „mitzunehmen“; wir werden animiert, sehen zu lernen.
Er möchte unseren Geschmack entwickeln helfen: „…und dass sich über den Geschmack nicht streiten lässt, dass wir das fragliche Bild einmal wirklich betrachten, so ist er nicht umsonst gewesen, denn je genauer wir hinschauen, desto leichter werden wir die Absichten des Künstlers herausfinden.“ Schließlich lässt sich der Geschmack bilden.
Er ermuntert die Lesenden, Gemälde nicht nur auf Abbildungen zu betrachten (sein Buch enthält 413 Abbildungen!), sondern Kunstwerke im Museum oder an dem Originalort (beispielsweise in Kirchen) zu bewundern. „Bei der Kunst lernt man nie aus. Immer wieder macht man neue Entdeckungen. Große Kunstwerke sehen jedes Mal anders aus, wenn man vor sie hintritt. Sie sind so unerschöpflich und so unberechenbar wie lebendige Menschen. Es ist eine erstaunliche Welt voll der überraschendsten Abenteuer. Niemand soll sich einbilden, dass er alles darüber weiß, denn dazu ist niemand imstande. Man muss an Kunstwerke mit unvoreingenommenem Geist und offenen Sinnen herantreten, das ist vielleicht das Allerwichtigste von allen, wenn man sie wirklich genießen will; man muss bereit sein, die geringste Nuance zu erfassen und der verborgensten Harmonie nachzuspüren; und ganz besonders darf das Gehirn nicht mit großen Worten und imposanten Fachausdrücken vollgestopft sein.“
Doch ein wenig Wissen kann nichts schaden. So erfahren wir: „Eines der ägyptischen Wörter für Bildhauer heißt darum: ‚Er, der am Leben erhält‘.“ Oder den „Merksatz“: „Die Ägypter gründeten ihre Kunst auf Wissen; die Griechen begannen, die Augen aufzumachen.“ Später ergänzt er: „Im Mittelalter lernten die Künstler in ihren Bildern auszudrücken, was sie fühlten.“
Über Mumienporträts gibt er zu bedenken: „Es gibt wenige Kunstwerke aus der Antike, die so modern wirken wie sie.“ Wenn man das Antikenmuseum in Berlin durchwandert, findet man diesen Satz bestätigt.
Der Historiker macht uns bewusst: „Aber so viel ist gewiss, dass während dieser verworrenen Jahrhunderte (6. bis 11. Jahrhundert), die auf den Sturz des Römischen Reichs folgten, viel Wissen verloren ging und viele Überlieferungen durch Krieg, Plünderungen und Katastrophen abrissen.“
„…,dass dieser lange Zeitraum keinen einheitlichen Stil in der Kunst hervorbrachte – …“
Und dann kam Giotto di Bondone: „Giotto hatte die Kunst wieder entdeckt, auf einer flachen Ebene die Illusion räumlicher Tiefe zu erzeugen.“
Er gemahnt uns: „Es ist immer etwas riskant, vom allgemeinen Charakter einer Zeit oder eines Stils zu sprechen.“ Und ‚Malt, was ihr seht.‘ „Keiner bedrängte die Künstler, zu malen, was sie sahen. Dieser Gedanke taucht erst in der Renaissance auf.“
Und immer wieder hält er die Lesenden dazu an, hinzusehen! „Man kann solchen Arbeiten nie gerecht werden, wenn man sie in einem Museum gerade nur mit dem Blick streift und weitergeht. Sie waren für wirkliche Kenner bestimmt und wurden wie ein Schatz gehütet.“ Wir lernen, die mittelalterlichen Meister hatten das Licht als solches ignoriert.“
„Man kann Genies nicht erklären, man tut besser daran, sich an ihnen zu freuen.“ Einen solchen Satz sollten wir Kunstbetrachtende nie vergessen!
Über Leonardos „Sfumato“ schreibt er: „…dieses Ergänzenmüssen erhöht den Eindruck der Lebendigkeit. Wenn der Maler darum die Umrisse nicht ganz fest zieht, wenn er die Formen ein wenig unbestimmt lässt, wenn Licht und Schatten ineinander verschwimmen, kann dieser Eindruck von Trockenheit und Steifheit nicht entstehen.“ Und wenn die Lesenden Gombrichs Mona Lisa Erläuterungen (S. 228/229) in sich aufgenommen haben werden sie beim Besuch im Louvre ganz anders auf dieses Bild blicken.
Über Tizians „Junger Engländer“ schreibt er die wundervolle Weisheit: „Wenn sein beseelter, gedankenvoller Blick auf einem ruht, kann man es kaum glauben, dass diese verträumten Augen nicht mehr sind als ein bisschen farbiger Staub auf grober Leinwand.“
Zu den zwei nicht vergleichbaren Künstlern Dürer – Nithardt (Grünewald) lesen wir: „…während Dürer als lebendiger Mensch vor uns steht, dessen Gewohnheiten, Anschauungen, Geschmack und Eigenheiten wir kennen, ist die Persönlichkeit Grünewalds genauso schattenhaft wie etwa die Shakespeares.“
Zur Wirkung von Claude Lorrains Landschaftsmalerei auf seine Zeit erfahren wir: „Reiche Engländer gingen noch weiter und versuchten, das Stück Natur, das ihnen gehörte, ihre Güter und Landsitze, nach Claudes Vorbild umzumodeln.“
Maler lernen, glückliche Momente zu erfassen, allerdings: „Natürlich könnte dieser Eindruck des unmittelbaren Erfassens eines glücklichen Augenblicks nie ohne sorgfältige Vorbereitung und Überlegung zustande kommen.“
Über die ersten Seestücke schreibt Gombrich: „Diese Maler konnten ohne dramatische Effekte auskommen; sie malten einfach ein Stück Welt, wie sie es sahen, und entdeckten dabei, dass sich daraus genauso gut ein Bild machen ließ wie aus einer Episode der Heldensage oder einer Anekdote.“
Er beschreibt die Kunst Vermeers in wenigen Sätzen, die mehr aussagen als lange Katalogaufsätze (S. 328/329!).
Gombrich verdeutlicht, dass mit der Französischen Revolution auch die Kunst einen Umbruch erlebte: „Die Neuzeit brach wirklich an, als die Französische Revolution von 1789 so vielen Konventionen ein Ende bereitete, die während Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden ihre Gültigkeit besessen hatten.“
Und so biegt Gombrich langsam auf die Zielgerade ein.
„Cézannes Lösung führte schließlich zum Kubismus, der in Frankreich entstand, die Lösung van Goghs führte zum Expressionismus, der hauptsächlich in Deutschland Widerhall fand, und die des Gauguin zu den verschiedenen Formen des Primitivismus.“
Gombrich weicht auch der „Sinnfrage“ nicht aus: „…was sollte der Sinn ihres Schaffens sein? Die Antwort auf diese Frage lässt sich leichter fühlen als formulieren, denn wenn man solche Dinge erklären will, landet man nur allzu leicht bei verschwommenem Tiefsinn oder schlichtem Blödsinn.“
Der Historiker rückt auch unsere Sicht auf die Zeit zurecht: „Das Tagesgeschehen wird erst dann zur ‚Geschichte‘, wenn wir genügend Abstand gewonnen haben, um zu wissen, wie es sich, wenn überhaupt, auf spätere Entwicklungen auswirken wird.“ Und: „Jeder von uns, der alt genug ist, erlebt zu haben, wie aus Gegenwart Vergangenheit wird, weiß, wie sehr sich mit wachsender Erfahrung die Konturen verändern.“
Schließlich: Was will die bildende Kunst? Die Antwort von Gombrich ist kurz und klar: Ein Stück Welt spiegeln können!
Einen Aspekt habe ich im Werk des großen Ernst H. Gombrich vermisst. Es tauchen keine Künstlerinnen auf, obwohl es sie gab, man denke nur an Artemisia Gentileschi. Aber auch das ist durchaus der Zeit der Entstehung dieser großartigen Einführung in die Kunstgeschichte geschuldet.