Als ich bei einem meiner letzten Besuche in der Alten Nationalgalerie zu Berlin wieder einmal mit Werken von Adolph Menzel konfrontiert wurde, schrieb ich kurze Zeit später in mein Diarium: „Und dann tritt man in Menzels Reich ein!
Menzel, dieser große, vom Wuchs eher kleine, Maler wird als der große realistische Künstler des 19. Jahrhunderts „geführt“. Ich empfinde, je häufiger ich vor seinen Gemälden, manchmal auch nur Skizzen, in der Alten Nationalgalerie stehe, dass er sehr viel mehr war. Für mich gibt es „Anflüge“ von Impressionismus ebenso wie Bilder, die Karikaturen gleichen.
Impression: beispielsweise die Wolkenstudie von 1851 oder „Mondschein über der Friedrichsgracht im alten Berlin“ (um 1855). Und wo ordnet man den „Judenfriedhof in Prag“ ein (1852 – 1853)? Was machen die „Kunstgelehrten“ mit dem „Schlafzimmer des Künstlers in der Ritterstraße“ (1847)? Und was mit dem „Balkonzimmer“? Und was mit der „Berlin-Potsdamer Eisenbahn (1847)?“
Ich wollte mehr über diesen Maler erfahren. In der C. H. Beck Reihe Wissen gibt es ein Buch von Werner Busch zu diesem Maler: „Adolph Menzel – Leben und Werk“.
Ich beginne mit einem Zitat zu der von mir oben gestellten Frage nach dem „Impressionisten“ Menzel. Ich lese: „Propagiert wurden sie (Menzels Ölskizzen) mit großer sprachlicher Überzeugungskraft von dem Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe, der ebenfalls 1905 (Anmerkung von mir: unmittelbar nach Menzels Tod) sein Buch ‚Der junge Menzel‘ publizierte. Er interpretierte Menzels Ölskizzen, mit dem ‚Balkonzimmer‘ von 1845 und dem Nachzügler, dem ‚Théâtre du Gymnase‘ von 1856 im Zeitraum, als protoimpressionistisch, als erstaunlich frühe reine Malerei, die sich Menzel bei den beengenden deutschen Verhältnissen nur für eine relativ kurze Phase im Privaten erlaubt habe.“
Nun hätte ich mich mit dieser Auskunft zufriedengeben und das Büchlein zur Seite legen können, aber dafür war der Text viel zu spannend.
Ich lese: „Er nannte sich einen ‚Zaungast des Lebens.‘“ Und dass er zeitlebens einen „Authentizitätsanspruch“ erhoben habe.
Er malt die Krönung Wilhelms I. zu Königsberg und sieht sich beträchtlicher Eingriffe seitens des Königs ausgesetzt. Der sah sich mit seinem weißen Bart als zu bejahrt wiedergegeben. Ich lese, dass Menzel Fotografien zur Fertigstellung des Gemäldes heranzog. Lakonisch schließt Werner Busch dieses Kapitel mit dem Satz ab: „Nie wieder sollte er einen Staatsauftrag erhalten.“
Viele Jahre zuvor hatte der Bruder Wilhelms – Friedrich Wilhelm IV. – ein anderes Gemälde Menzels erworben: „Friedrich und die Seinen bei Hochkirch“. Und wir lesen: „Allerdings hat Menzel sich später darüber beschwert, dass es im Berliner Schloss ins ‚blitzblaue Marinezimmer‘ verbannt worden sei, wo bei Hofbällen die Lakaien die Teetassen reinigten.“
Werner Busch beschränkt sich auf wenige Werke Menzels, die er ausführlich erläutert. So wird dieses schmale Buch zu einer Schule des Sehens. Die Lesenden lernen beispielsweise welche immense Bedeutung der goldene Schnitt für Menzels Gemälde besitzt. So sieht der Lesende gerade so bedeutende Werke wie „Das Eisenwalzwerk“ oder „Die Piazza d’Erbe in Verona“ mit geschärftem Blick! Und bemerkt, dass Menzel alles andere als ein Zaungast des Lebens gewesen war.
Ich lerne an anderer Stelle: „Seine linke Hand sei seine private, mit ihr zeichne er, seine rechte, mit der er male, sei seine öffentliche. So ist die Zeichnung ein privates, die Malerei ein öffentliches Medium. Als er von Reinhold Begas seine Hände abformen und in Bronze gießen ließ, hielt die linke den Stift, die rechte den Pinsel.“
Am Ende dieses blitzgescheiten Aufsatzes über Menzel resümiert Werner Busch: „Alles in der Wirklichkeit Gesehene und unmittelbar Dargestellte ist transitorischer Natur…“
„Stellt Menzel den Augenblick als Augenblick dar, konterkariert er per se, was über Jahrhunderte ein Bild definierte hat: die Aufhebung der Zeit.“
„Menzels permanentes Zeichnen ist ein Anrennen gegen das Verfließen der Zeit, in dem Bewusstsein, dass es vergeblich ist.“
Und so schlussfolgere ich, dass dieser Maler Menzel sehr wohl ein früher deutscher Impressionist gewesen ist. Aber was bedeuten schon solche Einordnungen? Was wirklich zählt, sind seine grandiosen Werke. Und die bleiben!