Der Roman von Hernan Diaz lautet im Original „Truth“. Das würde ich mit „Wahrheit“ übersetzen und nachdem ich den Roman in der Übersetzung von Hannes Meyer gelesen habe, hätte ich genau diese Übersetzung gewählt. Auf keinem Fall hätte ich dem Roman den Titel „Treue“ gegeben!

Was ist die Wahrheit? In der Sowjetunion hieß eine große Tageszeitung so und der derzeitige Geschäftsmann auf dem Stuhl des amerikanischen Präsidenten taufte seinen eigenen „Social Media“-Kanal „Truth Social“. Weder in der Zeitung noch auf dem Kanal fand/findet man die Wahrheit.

Diaz hat in seinem Roman zunächst einen Schriftsteller in einem Schlüsselroman das Leben der Gattin eines reichen Bankers der Wall Street darstellen lassen. Dann werden wir Lesenden mit den Aufzeichnungen des „realen“ Bankers konfrontiert. Wir lesen von der großen Depression 1929 und wie dieser Banker sich gerade an ihr mehr als eine goldene Nase verdiente. Wie die Gattin des Mannes erkrankte und starb, wobei der Banker in dem Schlüsselroman als sehr unsympathisch geschildert wird und ohne Anteilnahme die unheilbar kranke Gattin in den Tod begleitet.

Dieser zweite Teil enthält viele Hinweise darauf, dass Stellen zu ergänzen und „auszuschmücken“ sind. Diese Aufgabe übernimmt im dritten Teil eine junge Frau, die sich viele Jahre später an diese Arbeit erinnert. An die Arbeit mit dem Banker, an ihr Leben mit ihrem Vater und daran, wie sie mehr über die Gattin des Bankers herausbekommen möchte.

Schließlich im vierten und letzten Teil des Romans lesen wir Auszüge aus dem Tagebuch der Bankiersgattin. Aufzeichnungen aus den letzten Lebensmonaten. Wir verstehen nun, warum der Börsenguru ein so großes Interesse daran hatte, seine Wahrheit zu Papier bringen zu lassen und warum er alles unternahm, den Schlüsselroman und dessen Autor zu vernichten.

Ich klappte den Roman zu, der viele großartige Sätze enthält, der viele Romananfänge beherbergt. Ich klappte den Roman zu und fragte mich, ob ich den Roman anderen zur Lektüre unbedingt empfehlen sollte. Ich klappte den Roman zu und fragte mich, warum dieser Roman den Pulitzer Preis des Jahres 2023 erhalten hatte.

Etwas ratlos ließ mich der Roman zurück.

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