An einer Stelle des Romans „Kälter“ von Andreas Pflüger, als es um die Ereignisse des November 1989 in Berlin geht, findet der Lesende die folgende Zeile: „Wir sind das Volk – Aber ich bin Volker“. Ein Scherz, anders als der Titel dieses Romans. Den findet man auf S. 293: „Dann bist du kalt. Aber ich war kälter.“ Der Satz stammt von Luzy, Morgenroth, einer Personenschützerin, die nach einem Einsatz in Israel viele Jahre als Inselpolizistin auf Amrum verlebt, bis ein Killerkommando die friedliche Inselruhe stört und sie zurück in einen Agentenalltag katapultiert.
Dieser Roman kommt so friedlich, so kuschlig daher, dass man beinahe gelangweilt bereit ist, das Buch aus der Hand zu legen. Das aber wäre ein Fehler, denn diese Geschichte mit vielen Wendungen, ist explosiv, bis zur letzten Seite.
Pflüger schichtet die Erzählung sorgsam auf. In Israel befreundet sie sich mit einer israelischen Polizistin, Roni. Diese lädt sie zu ihrer Familie ein und Luzy fühlt sich wohl. Man spricht über den Konflikt mit den Palästinensern: „Ein Haus steht in Flammen“, antwortete Roni. „Ein Mann springt aus dem Fenster und prallt auf einen, der unten auf der Straße vorbeigeht. Der Mann hatte keine Wahl. Doch für den mit den gebrochenen Gliedern ist er die Ursache seines ganzen Unglücks. Das ist die Geschichte von Palästina.“
Der Autor nutzt die Gelegenheit, sich über Berlin auszulassen: „Obwohl sie von hier war, mochte sie die Stadt nicht. Sie tat immer irrsinnig laut, aber machte nicht mehr Geräusch als ein verkniffener Furz. Berlin hatte seine Vergangenheit vergessen und träumte von einer Zukunft, die längst Geschichte war.“ Oder aber liebevoll: „…dorthin, wo Berlin am liebermannsten war.“ Wieder kritisch, völlig zu Recht übrigens: „…vor der Fischerinsel auf die achtspurige Leipziger Straße, diese brachial durchs Zentrum geschlagene Schneise, Triumph von debilen Stadtplanern, die willfährig dem Parteiauftrag folgten, Geschichte zu Kleinholz zu verarbeiten.“ Oder: „Berlin hat sich stets für die hässliche Lösung entschieden, als sei Charme ein Makel.“ Und dann wieder ganz liebevoll: „Auf der Fahrt nach Kladow klappt der Herbstwald ein letztes Mal seinen Farbmusterkoffer auf.“
Es wird im Roman auch über die große Demonstration am Alexanderplatz am 4, November 1989 berichtet und treffender kann man zwei Rednerinnen nicht charakterisieren: „Auch SED-Mitglied Katarina Witt, Liebling von Honecker und Mielke, ein Plapperchen auf Schlittschuhkufen, …“ und: „Situationselastisch ist die Wortmeldung der Schriftstellerin Christa Wolf, …“!
Ich kann mich für Beschreibungen, wie: „Caspar-David-Friedrich-Himmel“ ebenso begeistern, wie über den Satz: „Hoch oben schaukelt der Mond auf der blauen Lichtwippe der Stadt.“
Nur über den Plot und über die Dramatik des Romans darf ich nichts verraten, höchstens vielleicht den Hinweis: Fragen Sie sich doch mal, was das Riesenrad aus dem Wiener Prater auf dem Schutzumschlag zu suchen hat.
„Thriller“ ist nicht der Komparativ von „Thrill“, aber mehr Nervenkitzel als in diesem Roman geht kaum!
