Die Geschichte über einen Sammler, dessen Frau und über einen Helden
Lady Hamilton und Lord Nelson: Wer hat noch nicht von diesem Paar gehört. Eine unerhörte Liaison; wer hat schon einmal an den armen Gatten der Lady oder die Gattin des „Helden“ – so nennt ihn Susan Sontag in ihrem Roman „Der Liebhaber des Vulkans“ – gedacht?
Die Autorin tut es ausführlich. Sie schildert das Leben des Sammlers Sir William Hamilton; er ist ein Vulkanologe, ein Altertumsforscher und der Gesandte des britischen Königs am Hof des Königs von Neapel und Sizilien. Und die Autorin schaut sich sehr ausführlich an, was einen Sammler auszeichnet: „So ist also der Sammler jemand, der sich verstellt, jemand, dessen freudige Gefühle immer mit Angst vermischt sind. Denn es gibt immer noch mehr. Oder etwas Besseres. Man muss es haben, weil es ein weiterer Schritt zur angestrebten Komplettierung der Sammlung ist. Doch diese angestrebte Komplettierung, nach der sich jeder Sammler verzehrt, ist ein trügerisches Ziel.“
Sie nimmt sich auch viel Zeit, den Vulkanologen uns näher zu bringen und den Altertumsforscher.
Nach dem Tod seiner ersten Frau nimmt er eine junge Frau zu sich, die Geliebte seines Neffen Charles, der sie loswerden muss, weil er eine für ihn vorteilhafte Ehe schließen will.
Diese junge Frau, Miss Emma Harte, muss sehr schön gewesen sein. Es gibt Porträts von ihr, die dies eindrucksvoll belegen. Es gibt eine wundervolle Beschreibung eines Zeitzeugens, den ich hier zitiere: „Caserta, den 16. März 1787: … Der Ritter Hamiliton, der noch immer als englischer Gesandter hier lebt, hat nun nach so langer Kunstliebhaberei, nach so langem Naturstudium den Gipfel aller Natur- und Kunstfreunde in einem schönen Mädchen gefunden. Er hat sie bei sich, eine Engländerin von etwa zwanzig Jahren. Sie ist sehr schön und wohl gebaut. Er hat ihr ein griechisches Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet, dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen etc., dass man zuletzt wirklich meint, man träume. … Der alte Ritter hält das Licht dazu und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja den Belvederschen Apoll selbst. So viel ist gewiss, der Spaß ist einzig! Wir haben ihn schon zwei Abende genossen. Heute früh malt sie Tischbein.“ Und am 22. März notiert unser Zeuge, nunmehr aus Neapel, die Stadt lobend: „Freilich wer sich Zeit nimmt, Geschick und Vermögen hat, kann sich auch hier breit und gut niederlassen. So hat sich Hamilton eine schöne Existenz gemacht und genießt sie nun am Abend seines Lebens. Die Zimmer, die er sich in englischem Geschmack einrichtete, sind allerliebst, und die Aussicht aus dem Eckzimmer vielleicht einzig. Unter uns das Meer, im Angesicht Capri, rechts der Posilipo, näher der Spaziergang Villa Reale, links ein altes Jesuitengebäude, weiterhin die Küste von Sorrent bis ans Kap Minerva. Dergleichen möcht‘ es wohl in Europa schwerlich zum zweiten Male geben, wenigstens nicht im Mittelpunkte einer großen, bevölkerten Stadt. Hamilton ist ein Mann von allgemeinem Geschmack und, nachdem er alle Reiche der Schöpfung durchwandert, an ein schönes Weib, das Meisterstück des großen Künstlers, gelangt.“
Schließlich noch ein kurzes Zitat unseres Zeitzeugens nach seiner Rückkehr von Sizilien, etwa einen Monat später: „Hamilton und seine Schöne setzten gegen mich ihre Freundlichkeit fort. Ich speiste bei ihnen, und gegen Abend produzierte Miss Harte auch ihre musikalischen und melischen Talente.“ Soweit Goethe!
Susan Sontag durchleuchtet diese Beziehung, die Goethe hier knapp schildert, wesentlich umfangreicher. Sie taucht in die Zeit ein, allerdings tritt sie immer wieder einmal aus der Zeit heraus und kommentiert aus dem Hier und Jetzt. Diese Brechung bereichert ihren Roman und stört keinesfalls.
Ausführlich schildert sie auch die Bekanntschaft mit Nelson. Sie berichtet von der sich verändernden Frau, deren Schönheit mehr und mehr schwindet. Es wäre interessant zu lesen gewesen, hätte Goethe die Lady Hamilton zehn Jahre später erneut getroffen. Sontag schildert die Lady, dem Alkohol und dem vielen Essen Tribut zollend, aber für ihren Helden immer noch anziehend. Auch der Held wird in seiner wahren Figur dargestellt. Klein vom Körperbau her, vom Krieg schwer gezeichnet, ist er alles andere als der strahlende Held, der Apoll, der dem anderen kleinen Mann, Napoleon, die Stirn bietet.
Susan Sontag geht auch der Frage nach, wieso der Cavaliere die Rolle des Hahnreis geradezu klaglos annimmt: „Er hasst Veränderungen, da für ihn – für seinen Körper – jede Veränderung eine Verschlechterung ist. Und wenn es schon eine Veränderung geben muss, dann soll sie schnell eintreten, so dass sie nicht zuviel Zeit in Anspruch nimmt, die ihm noch bleibt.“
Es ist ein opulenter Roman, den Susan Sontag vor nunmehr dreißig Jahren veröffentlichte. Sie hätte sich vielleicht die Nachbetrachtungen einiger ihrer handelnden Personen am Ende des Romans sparen können. Die Lesenden erhalten keine neue Perspektive. Aber unabhängig von dieser kleinen Mäkelei: Es ist ein sehr lesenswerter Roman!
Vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich Ihnen empfehle.

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