Kann ein knapp hundert Seiten umfassendes Buch als Liebesroman bezeichnet werden? Ich komme auf diese Frage zurück!
In dem Text von Per Olov Enquist, auf dem Buchdeckel steht „Roman“, mit dem Titel „Gestürzter Engel“ werden drei verschiedene Geschichten unterschiedlich ausführlich erzählt.
Die Geschichte der Ruth Berlau, einer der Frauen um Bert Brecht.; benutzt, gemieden und verdrängt. Diese Geschichte, alle drei Geschichten werden eingestreut, ist die am wenigsten erzählte. Eine Liebe als eine Abhängigkeit der einen Person von der anderen.
Die Geschichte von einem Paar, dessen Tochter von einem jungen Mann getötet wird. Die Frau begann ein Verhältnis mit diesem jungen Mann, der schon einen Mord begangen hatte. Als der junge Mann im Gefängnis sitzt versucht der Vater des ermordeten Mädchens eine Verbindung zu dem jungen Mann aufzubauen. Der junge Mann wird sich das Leben nehmen. War das eine Liebesgeschichte?
Die Geschichte des „Monsters“ Pasqual Pinon. Aus seinem Kopf hat sich ein weiterer Kopf entwickelt, einer Stirnlampe nicht unähnlich. Ein weibliches Gesicht. Sie werden auf Monstrositätenausstellungen herumgezeigt. Er will sie irgendwann einmal verlassen, was physisch nicht möglich ist, sie wird einige Zeit benötigen, um über diese Erfahrung hinwegzukommen. Er stirbt, sie überlebt ihn um wenige Minuten. Ein Geschichte von Liebe und Abhängigkeit, ohne Frage.
Und schließlich gibt es zwischen den Zeilen noch eine vierte Geschichte. Diejenige des Erzählers. Er ist, vielleicht, in sich selbst verliebt. Insofern passt das Ende der Geschichte, im sechsten Gesang, Koda genannt, weil wir den ganzen Text auch als Musikstück verstehen könnten. In einem Traum berichtet der Erzähler, wie er sich selbst entdeckt. Hierzu passt dann auch der Buchumschlag. Dieser zeigt einen Ausschnitt aus dem großartigen Gemälde „Narcissus“ von Caravaggio. Es ist die grandiose Darstellung der von Ovid erzählten Geschichte der Selbstverliebtheit.
An zwei Stellen des Textes steht unvermittelt ein Satz, der die göttliche Liebe umschreibt: „Agape: sich nicht der Vergebung verdient machen müssen.“ Der Autor kommentiert das Wort selbst im darauf folgenden Satz: „Welch schönes Wort.“
Ich komme auf meine eingangsgestellte Frage zurück und hier die Antwort: „Ja!“
Dem Fischer Verlag muss ich allerdings vorwerfen, dass ein Preis von 16 € für ein Taschenbuch von etwas über hundert Seiten maßlos überzogen ist!