Was für ein Debütroman!

„Die Kinder der großen Stadt feiern das Erntefest in den Schrebergärten der Vororte. Windräder schnurren rundum und kleine Mühlen auf hohen Stangen. Viele Fahnen werfen sich bunt vor dem satten Blau des Himmels, Papiergirlanden schaukeln zwischen dem kräftigen Grün der Obstbäume und über den Fruchthecken. Ein lustiger weißer Wirbel ist das Haschen der Kleinen, auf ihre Scheitel fallen Schatten von den Tellern der Sonnenblumen.“

So beginnt der Roman „Dritter Hof links“ von Günther Birkenfeld. Das Debüt liegt fast hundert Jahre zurück. Und wieder ist es einem kleinen Verlag zu verdanken, einen solchen Schatz gehoben zu haben.

Wir befinden uns im Berlin der zwanziger Jahre. Die arbeitende Bevölkerung lebt in großer Armut in kleinen Wohnungen mit viel zu vielen Menschen. Geschwister leben auf engstem Raume. Auf eine „Privatsphäre“ kann hier niemand Anspruch erheben. So lebt eine verwitwete Mutter mit ihren drei Kindern, der zwanzigjährigen Erna, dem siebzehnjährigen Paul und der fünfzehnjährigen Helene in einer Wohnung aus einem Zimmer und der Küche zusammen. Paul ist arbeitslos und hat als Schlossergeselle keine Chancen auf eine neue Anstellung, Erna arbeitet, gibt aber zu Hause nichts ab und die Mutter putzt an verschiedenen Stellen, unter anderem bei der Familie eines Rechnungsrats Hasselbach. Als die Mutter wegen einer schweren Erkältung einige Zeit nicht bei den Hasselbachs ihrer Tätigkeit als „Aufwartefrau“ nachkommen kann, droht die gnädige Frau mit Kündigung. Als sie ein Bettgestell samt Matratze von den Hasselbachs erhält (Ernas Verlobter Emil zieht noch dazu), muss sie die Sachen abzahlen, „indem sie für drei Wochen auf ihren Lohn verzichtet. So wertvolle Sachen kann man heutzutage nicht mehr verschenken.“

Paul und Helene kommen sich für Geschwister zu nahe. Und wie sollte in einer derartigen Enge eine inzestuöse Beziehung lange verborgen bleiben. Als Paul sich in ein anderes Mädchen verliebt, wird Helene davonlaufen und auf dem Strich landen. Eine kurze Zeit des Glücks liegt vor seiner Freundin Trudi und ihm. Er holt sie häufig von der Fabrik ab: „Mitten im Strom kommt Trudi. Ihr mattes Blondhaar, das blasse Antlitz schwebt über dem dünnen Tuchmantel und vor dem Schwarz der Männer und Frauen wie ein fernes, einsames Licht auf nächtlichen Wassern.“

Erna bringt ein Kind zur Welt, heiratet Emil, der nicht der Vater des Kindes ist. Sie wird sich schon bald wieder von ihm trennen. Paul und seine Freundin Trudi verzweifeln spätestens im Moment als sie ihren Fabrikjob verliert

Pauls Mutter kommt zu der Erkenntnis: „Wenn zu viele Menschen zu eng beieinander leben müssen, werden sie schlecht! Davon kommt das meiste Unheil unter unsersgleichen.“

Und Pauls Mutter hat nur noch eine Lösung für Paul, Trudi und sich.

Erhard Schütz stellt seinem Nachwort ein Zitat des großen Schriftstellers Georg Hermann aus dem Jahre 1925 voran: „Schafft Wohnungen, und ihr werdet keine Bücher mehr über die Zerrüttung der Familien und Ehen und die frühe Verderbtheit der Großstadtjugend schreiben müssen.“ Diese Sätze gelten bis heute weiter!

Gut für uns Lesende, dass Günther Birkenfeld diesen grandiosen Roman schreiben konnte!

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