Mit seinem Roman „Der Sturz in die Sonne“ ist der Vertreter der Schweizer Literatur in französischer Sprache gerade in Deutschland wieder im Gespräch. Ich las jetzt den Erstling von Charles Ferdinand Ramuz: „Aline“.
Ein schmaler Roman, den der Autor selbst eher als Geschichte bezeichnen wollte.
Wie auch immer, diese Geschichte ist eine Meisterleistung.
Der Inhalt ist schnell erzählt. Es geht um eine Liebe zweier junger Menschen in einem Dorf in der Nähe von Lausanne. Julien ist der Sohn des reichsten Bauern der Gegend, Aline ein armes Mädchen, das mit seiner Mutter so gerade über die Runden kommt. Die jungen Leute kommen sich näher und die Beziehung bleibt nicht ohne Folgen. Da hat Julien die Beziehung schon längst wieder gelöst: Er hatte ja sein Vergnügen gehabt.
Ramuz ist ein Meister der kurzen Sätze. Damit beschreibt er die Natur und ebenso schafft er Atmosphäre.
„…dann hatte sie allmählich Freude, wenn sie ihn sah, denn die Liebe tritt ins Herz, ohne dass man es hört; aber wenn sie einmal drinnen ist, schließt sie die Tür hinter sich zu.“
„Manchmal mag die Liebe noch so groß sein, man weiß doch nicht, wie man es sagen soll, dass man liebt. Und noch schwerer ist, es zu schreiben; es ist, als würden sich die Worte an die Feder krallen, als wollten sie sich nicht aufs Papier bringen lassen.“
Und es scheint so, dass man seinem Schicksal nicht entgehen könne: „Und für sie wäre es vielleicht besser gewesen, es wäre anders gewesen; nur eben die Dinge sind seit je festgelegt; wir treten durch jene Türen, die sich von selbst vor uns auftun, und die anderen bleiben geschlossen.“
Die Beziehung dauerte nicht lange: „Die Musik begann den letzten Walzer. Die echte Liebe dauert nicht lange.“ Zunächst hofft Aline noch auf die Wende zum Guten; sie wartet auf Julien, doch der kommt nicht mehr, sie macht sich Sorgen, es könnte ihm etwas zugestoßen sein: „Man denkt an Krankheit, man denkt an Tod: an das einzig Wirkliche, an die Grausamkeit der Menschen, dachte sie nicht.“
Und immer wieder streut er die Naturbeobachtungen in kurzen Sätzen ein: „Die Herbstzeitlosen waren verblüht, kleine flackernde Flämmchen, die der Wind ausbläst; sie sind fast nichts, kleine blasse Schwestern des Nebels.“
Ihre Schwangerschaft schreitet voran und sie denkt über die Zeit nach: „Kann man den Lauf der Zeit aufhalten? Die Zeit ist nicht einmal Luft, die vorüberweht, die man spürt, wenn sie vorüberweht; die Zeit spürt man nicht, und man sieht sie nicht, und dennoch geht sie vorüber.“ Und am Ende machen sich die Leute im Dorf Gedanken über das Schicksal von Aline und deren kleinen, noch namenlosen, Bub sowie über Alines Mutter Henriette. „Ja, das Leben ist wirklich merkwürdig. Da fängt es an, wie man so sagt, und dann geht man gegen die Mitte zu; und dann nimmt man ein Ende; und wenn man am Ende ist, ist es so, als hätte man nie angefangen.“
Gern zitiere ich an dieser Stelle Rolf Vollmann, der in seinem „Roman-Verführer“ „Die wunderbaren Falschmünzer“ über Aline schreibt: „Gleichwohl ist dieses kleine Buch von Ramuz überaus lesenswert und in der dann gleichzeitigen Kühle der Erzählung sehr geglückt.“
Ich gehe noch ein wenig weiter: Hier liegt eine vollendete Erzählung eines ganz großen Schriftstellers vor!
Lesen!