Dieses Buch schlummerte schon so lange in meinem Regal und etwas hielt mich immer davon ab, es zur Lektüre in die Hand zu nehmen:“ Das Leben. Gebrauchsanweisung“ von Georges Perec in der Übersetzung von Eugen Helmlé. Den Autor kannte ich, war er doch einer der Köpfe von „Oulipo“, „l’ouvroir de littérature potentielle“, der Werkstatt für potentielle Literatur. Auch wusste ich, dass er einen Roman geschrieben hatte, in den der Vokal „e“ nicht vorkommt.
In dem Roman „Das Leben…“ beschäftigt sich der Autor mit den Bewohnern eines Hauses in Paris. Wir durchstreifen im Verlaufe der Lektüre alle Räume, lassen genaue Beschreibungen des Interieurs über uns ergehen und fast immer lesen wir dann eine Geschichte, die mit einem der Bewohner oder früher in der Wohnung lebenden Menschen zu tun hat. Ganz häufig sind es kleine Kriminalgeschichten, die vor uns ausgebreitet werden und häufiger habe ich mich dabei ertappt, dass ich die Kürze der Geschichte bedauerte.
Alle Betrachtungen spielen an einem einzigen Tag, dem dreiundzwanzigsten Juni neunzehnhundertfünfundsiebzig. Es erinnerte mich an Ulysses, der an einem einzigen Tag in Dublin, dem 16. Juni 1904 spielt. Ich ziehe hier keine weiteren Vergleiche, aber ich denke schon, dass es diese gibt.
Über den Inhalt von Perecs Roman werde ich hier nichts weiter erzählen. Nur so viel: Es gibt eine Reihe von Personen, die besonders „merkwürdig“ erscheinen. An ihrer Spitze der Milliardär Bartlebooth, der sich zehn Jahre lang zu einem Aquarellisten ausbilden lässt, dann in den nächsten zwanzig Jahren 500 Bilder von verschiedenen Häfen in der Welt malen wird. Die Aquarelle zu Puzzle zerlegen lassen wird, um sie in den folgenden zwanzig Jahren wieder zusammenzufügen und abschließend zu vernichten. „So würde von diesem Wirken, das seinen Urheber fünfzig Jahre lang in Bewegung gehalten hätte, keine Spur zurückbleiben.“ Oder anders ausgedrückt: „Bartlebooth beschloss eines Tages, sein ganzes Leben auf ein einziges Projekt hin auszurichten, dessen willkürliche Notwendigkeit allein sein Selbstzweck wäre.“
Oder nur so viel: Die Geschichte vom Richter und seiner Gattin, die zu Dieben wurden, um ihre sexuellen Lüste zu befriedigen.
Oder nur so viel: Die Geschichte von Madame Altamont, die das ungeborene Kind ihres Liebhabers, der in sie fast ebenso leidenschaftlich verliebt war, wie in sich selber, abtrieb. Worauf der Mann …, aber ach, lesen Sie doch selbst!
Auf der Rückseite meines Exemplars (als Zweitausendeins Taschenbuch) finde ich einen Satz von Harry Rowohlt: „Ein Buch, das man jedes Jahr mindestens einmal lesen sollte.“ So weit gehe ich nicht. Mein Fazit ist schlichter: Ein Buch, das man einmal im Leben gelesen haben sollte!
Wer mit dem Begriff der „zweckfreien Vollkommenheit des Nutzlosen“ bisher nichts anfangen konnte, wird nach der Lektüre dieses Romans zumindest mit dem Nachdenken darüber beginnen.