„Ein literarischer Divan ist eine Gedicht- oder Textsammlung, häufig mit orientalischem Bezug oder im Stil eines kulturellen Austauschs zwischen Orient und Okzident“, erläutert die AI ChatGPT auf eine entsprechende Frage. Und führt weiter aus: „Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff besonders durch Goethes „West-östlichen Divan bekannt, eine Sammlung von Gedichten, die vom persischen Dichter Hafis inspiriert wurde.“

Nun hat der von mir sehr geschätzte Schriftsteller Michael Kleeberg seinen 2018 erschienenen Roman „Der Idiot des 21. Jahrhundert“ genannt und im Untertitel „Ein Divan“ erläuternd eingebracht. „Der Idiot“ verweist auf den gleichnamigen Roman von Fjodor Dostojewski und mich hat während der gesamten Lektüre die Suche nach Parallelen, ich gesteh es freimütig, ab und an abgelenkt.

Kleeberg setzt sich mit einem großen Problem unserer Zeit auseinander. Die Kriege und die Glaubensunterschiede in den Ländern des Nahen Osten bringen seit Mitte der 2010er Jahre viele Menschen nach Europa, die das „Stadtbild“, wie der derzeitige Kanzler des Landes es ausdrückte, veränderten. Der Autor erzählt von Menschen, die in der Nähe Frankfurts leben, die sich teilweise schon sehr lange kennen und von denen einige einen „Migrationshintergrund“ besitzen. Er sammelt in seinem Roman Geschichten, die nicht oder nur lose miteinander zusammenhängen. Er beleuchtet viele Aspekte der Probleme des Zusammenlebens.

Einer seiner Protagonisten hat sich als junger Mann in eine junge Iranerin verliebt. Unglückliche Umstände werden die beiden trennen und man wird sich erst zwanzig Jahre später wiedersehen und von da an ein gemeinsames Leben führen. Als sie sich gerade kennengelernt hatten, kannte er den Dichter Hafis nicht, dessen Gedichte, einige von ihnen, im Divan Goethes gesammelt worden sind. „Wusste ich etwas von Hafis, dessen Gedichte sie sang? Kannte ich irgendetwas von dem vieltausendjährigen kulturellen Boden, auf dem sie stand, aus dem sie herauswuchs? Hatte ich auch nur einmal einen Gedanken daran verschwendet, es könne einen solchen eigenständigen kulturellen Boden überhaupt geben? …Wir sind so daran gewöhnt, dass unsere kulturelle Basis die universelle ist, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten und davon ausgehen, dass alle Fremden, die hierherkommen, um ein unmenschliches politisches System zu fliehen, auch automatisch ihren kulturellen, religiösen und Traditionsboden vergessen.“

An anderer Stelle lesen wir eine andere fundamentale Wahrheit, die wir leider nicht immer beherzigen: „Das gehört zu den schlimmsten Dingen, die Menschen Menschen antun, sie aus ihrer Heimat zu vertreiben und sie damit für ihr ganzes Leben zu Fremden auf dieser Erde zu machen, für die es kein Zurück und kein nach Hause mehr geben wird, denn je länger du fort bist, desto fremder wirst du, desto fremder wird das einstige Zuhause, und irgendwann ist es soweit, dass du ein Heimatloser geworden bist.“

Zwei jungen Leuten wird der lange abwesende Mann, der seine Liebe erst nach so vielen Jahren wiederfinden wird, folgende kleine philosophische Lektion mit auf den weiteren Lebensweg geben: „Sartres Grundgedanke war die Angst vor dem Anderen. Der Andere nimmt mir meine Freiheit. Sein Blick bohrt sich in meine Welt und lässt sie abfließen, als ob der Stöpsel in der Badewanne gezogen wird und das Wasser abfließt. Das hat mich immer tief berührt: die Ohnmacht, wenn ein anderer mich anblickt, abschätzt, beurteilt. Das ist das eine. Das andere ist Martin Buber. Da tut sich eine entgegengesetzte Welt auf: Da ist es der andere, der mir dazu verhilft, zu mir selbst zu kommen. Ich werde zum Ich erst am Du. Die Entdeckung liegt im Reich des Dazwischen.“

Mich beglückte, bereicherte, verwirrte und erschütterte die Lektüre dieses Buches! Zuweilen hatte ich den Eindruck, dass der Autor sich ein wenig überhoben hatte und dann fing der Text mich wieder ein und zerstreute meine Bedenken.

„Wisset nur, dass Dichterworte um des Paradieses Pforte immer leise klopfend schweben, sich erbittend ew’ges Leben.“

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