Die Figur des „Helden“ der schmalen Erzählung „Barleby, der Schreibgehilfe“ von Herman Melville steht für einen bestimmten literarischen Charakter, ebenso berühmt wie Oblomow oder Josef K.
Der Erzähler der Geschichte ist ein New Yorker Anwalt, der von einem Schreiber berichtet, den er zur Vergrößerung der Mitarbeiterzahl anstellt, weil die Kanzleigeschäfte gut laufen. Der Schreiber Bartleby erweist sich schnell als sehr „speziell“. Immer wenn er eine Aufgabe nicht übernehmen will, verweigert er mit der höflichen Floskel (siehe Überschrift) „Ich möchte lieber nicht.“ die Arbeit.
Unser Schreiber verweigert bald alles, er zieht auch nicht aus dem Büro aus und selbst als der erzählende Advokat sich neue Kanzleiräume gemietet hat, weigert sich Barleby aus den alten Räumen auszuziehen. Bald verweigert er auch jegliche Nahrungsaufnahme und stirbt im Gefängnis.
Die Barlebys dieser Welt bleiben meist unsichtbar: „Ach, die Glücklichen lieben das Licht, daher glauben wir, die Welt sei heiter; das Elend dagegen versteckt sich in Abgeschiedenheit, und daher glauben wir, es sei nicht vorhanden.“
Der besondere Reiz dieser Erzählung geht von dem „Trick“ Melvilles aus, uns Lesende nicht darüber aufzuklären, wie es zu diesem Verhalten des Schreibers kommen konnte.
Die Lesenden bleiben mit ihren Spekulationen zurück, es gibt eben keine Aufklärung, keine Erläuterung. „Melville belässt seinen Helden jedoch in der Ambiguität zwischen souveräner Autonomie und ominösem Autismus.“
Dem schmalen Band in der Penguin Edition ist ein überaus lesenswertes Nachwort beigefügt, aus dem ich das vorangestellte Zitat entnahm und eine weitere erwähnenswerte Überlegung zitieren möchte:
„Die ausdifferenzierte, arbeitsteilige, durchhierarchisierte Arbeitsgesellschaft beruht auf der bindenden Voraussetzung, dass jedes Individuum erledigt, was im Hinblick auf den übergeordneten Erwerbszweck erforderlich ist und wofür man es bezahlt. Barlebys Weigerung kommt also dem Boykott der utilitaristischen Denkungsart gleich.“
Der Reiz dieser Erzählung liegt für mich erstens darin, dass kein Versuch unternommen wird die Hintergründe für Barlebys Haltung sichtbar zu machen und zweitens stelle ich mir einen Barleby heute vor. Er sagt „Ich zöge vor, es nicht …“ und beendet damit jede Diskussion. Distinguiert, ohne Schnörkel, formvollendet. Ach, gäbe es doch mehr Menschen, die dies täten.
Jedem Lesenden darf ich die Lektüre dieser großartigen Erzählung empfehlen, niemand von Ihnen sollte an dieser Stelle „Ich möchte lieber nicht!“ sagen.