Wo sind sie hin, die Journalisten, die über Ausstellungen und Künstler wirklich schreiben und nicht nur einige Sätze aus dem Katalog zitieren?

Der Publizist Julius Meier-Graefe war einer von denen, die sich noch meinungsstark gegen Zeitströmungen zur Wehr setzten, die gegen Wilhelm II. opponierten. Er war ein Verteidiger des Impressionismus, ein früher Europäer, kein Vaterländler.

Im Nimbus Verlag ist eine Zusammenstellung von Artikeln erschienen, die teilweise vor dem ersten Weltkrieg, teilweise in der Weimarer Republik entstanden sind (Kunst Kulissen Ketzereien – Denkwürdigkeiten eines Enthusiasten). Er kannte viele bedeutende Maler persönlich, er kuratierte Ausstellungen und reiste in der Welt umher, um sich Ausstellungen anzusehen und zu besprechen.

Besonders wertvoll ist dieser Band (herausgegeben von Bernhard Echte) durch die Anmerkungen zu den Artikeln. So erschließen sich den heute Lesenden Zusammenhänge und Hintergründe.

Um auf meine Eingangsbemerkung zurückzukommen: Wo fänden sich heute Sätze wie die folgenden?

„Um über die Gegenstände dieser Sammlung eingehend zu berichten, bedarf es einer Wissenschaft, die mir abgeht. Was hier an chinesischen, persischen, griechischen, mesopotamischen, mittelalterlichen Dingen herumsteht, übersteigt weit die Kompetenz eines normalen Schlachtenbummlers. Der Mangel beeinträchtigt nicht den Genuss. Gewiss wäre es angenehm, man könnte bei berühmten Stücken verständnisvoll nicken und sich auf ähnliche Stücke im South Kensington und im Musée Guimet oder im Boston berufen, denn jeder tut sich gerne dicke, aber unter Umständen könnte es den Blick von der Totalität der Erscheinung abziehen.“ (Aus: Besuch der Sammlung Reber in Lausanne, Frankfurter Zeitung, Oktober 1931)

Oder wer würde heute einen Artikel über einen Künstler so beginnen? „Zuvor etwas anderes. Wie denken Sie über Paris? – Sie kräuseln die Lippen bedeutungsvoll – immerhin! – Ganz Ihrer Ansicht, aber Sie verstehen, es kommt mir auf die Anlässe an. Spezialitäten zählen nicht. Als einmal kurz nach dem Kriege im Atelier Signacs über Frankreich und Deutschland gestritten wurde – es war eine Art Gesellschaftsspiel – stimmte Félix Fénéon für Deutschland. Um seine Belege gefragt, erklärte der alte Schäker und Anarchist: ‚Weil ich dort nicht zu Hause bin.‘ – Geraume Zeit vor dem Krieg hatte ich Gelegenheit, von Lautrec, den seine Familie vergebens aus Paris zu entführen versuchte, die Gründe seiner Anhänglichkeit zu erfahren. Er nannte den Camembert. Das ließ sich schon eher hören.“

Und dann folgen Sätze, die alle als Treffer im Rahmen eines Boxkampfes gewertet werden würden: „Schon Vermeer erwies die Möglichkeit, sich trotzdem neben dem Riesen (Rembrandt) zu behaupten.“

„Er (Derain) verhält sich zu dem Expressionismus wie Renoir zu dem Impressionismus, nahm, was er brauchen konnte, aber hatte etwas ganz anderes zu sagen.“

„An gewissen losen Frauenköpfen … haftete ein Hauch der Palette Manets.“

(Aus: Derain, Berliner Tageblatt, 10. April 1929)

Und zum Schluss ein Satz, den ich heute noch unterschreiben würde: „Ich denke so niedrig wie möglich von dem Niveau unserer Tage …“. (Aus: Reise nach München, Berliner Tageblatt, 9. Oktober 1929).

Ich habe viel gelernt und gelacht bei der Lektüre dieses Kompendiums.

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