Für den Roman „Landgericht“ erhielt Ursula Krechel 2012 den Deutschen Buchpreis. Ich war zu dieser Zeit beruflich sehr eingespannt und mir entging die Lektüre dieses Romans. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung teilte vor einigen Wochen mit, dass die Autorin in diesem Jahr für ihr Gesamtwerk mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet werden wird. Grund genug für mich die Lektüre des genannten Romans nachzuholen.
Der Roman beschäftigt sich mit dem Schicksal von Emigranten, die in der Nazizeit Deutschland verlassen konnten. Mit dem Schicksal von Ehepartnern, die mit einem Juden zusammenlebten und sich nicht scheiden lassen wollten. Mit dem Schicksal der Kinder, die zwar das Glück hatten, dem Naziregime zu entkommen, aber nach vielen Jahren der Trennung von den Eltern sich nicht mehr zurückfinden in eine Familie, die sie nie kennengelernt hatten.
Die Autorin beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in eine Gesellschaft, die sehr bald durchzogen ist mit Leuten, die sich keiner Schuld bewusst sind. Mit Leuten, die es nur schwer verständlich finden, dass Rückkehrer bei der Vergabe von knappem Wohnraum bevorzugt werden.
Richard Kornitzer, die zentrale Figur dieses Romans, war Richter am Berliner Landgericht, bevor er als Jude aus seinem Beruf „entfernt“ wurde. Nach dem Krieg, nach einer langen Trennung von seiner Frau, kehrt er aus Kuba zurück in ein zerbombtes Deutschland. Wird wieder in seinem Beruf tätig, aber fühlt sich gegenüber anderen, die nicht entlassen wurden, benachteiligt. Er wird nicht seinem Alter und seinen Fähigkeiten gemäß befördert. Er fängt an, sich gegen Entscheidungen der Behörden zu wehren, denn auch die materiellen Entschädigungsfragen werden nur schleppend behandelt.
Die Kinder wollen nicht nach Deutschland zurück, man sieht sich nur in Ferienzeiten. Claire, die Gattin erkrankt, sie die in der Weimarer Zeit Geschäftsführerin einer Firma für Werbung in den Kinos (Stummfilme) war, ist nunmehr nur noch Gattin.
In Rückblenden lernen wir Richards Leben in seiner Zeit auf Kuba kennen. Eine Tochter, Amanda, ist die Frucht einer Beziehung zu einer kubanischen Lehrerin.
Und hatte ich auch an einigen Stellen das Gefühl, warum jetzt dies oder jenes auch noch erzählt werden soll, so ist das Werk doch ein geschlossenes. Ein großes Stück Literatur.
Schlussbemerkung: Gefangen genommen hat mich die Lektüre bereits auf der zweiten Seite. Dort steht der Satz: „Seine transitorische Existenz war ihm Gewissheit geworden.“
Ach, ich wünsche so vielen Menschen auf diesem Planeten, dass ihnen ihre transitorische Existenz bewusst sein würde. Uns würde viel Leid erspart werden.
