Diesen Roman in den Händen zu halten, ist ein Vergnügen. Ein fester Einband, ein sorgfältiger Druck, ein Lesebändchen, einige Erklärungen am Ende dieses Romans. Die Kapitel beginnen mit den Buchstaben des Alphabets und Motti leiten sie ein.
Der Roman „Die Seele aller Zufälle“ von Fabio Stassi (Übersetzung Annette Kopetzki) beginnt mit den folgenden Sätzen: „Ich heiße Vince Corso. Ich bin fünfundvierzig, Waise und verdiene meinen Lebensunterhalt, indem ich Leuten Bücher verschreibe.“ Er bezeichnet sich als Bibliotherapeut!
Und ich könnte es mir leicht machen und darauf verweisen, dass der Roman im Wesentlichen die Gespräche des „Therapeuten“ mit seinen Klienten schildert.
Ganz so einfach ist es aber nicht, denn es kommt eine Frau zu ihm, die ein Buch sucht, mit dem sie die Demenz ihres Bruders aufzuhalten imstande sein könnte. Wahrscheinlich sucht sie aber nach einem Buch, das einen Hinweis auf das Versteck des mutmaßlichen Vermögens ihres Bruders enthält.
Die Geschichte spielt in Rom am Ende des Winters und wir lesen so bezaubernde Sätze wie: „Auch dieser Morgen war wieder vom Licht letzter Wintertage erfüllt.“
Da sich unser Therapeut mit einem Alzheimer-Patienten beschäftigt, kreisen seine Gedanken um die Erinnerung: „Für mich ist die Erinnerung eine ständige Beschämung.“
Und: „Die Zeit ist eine Tür, die sich schließt und nur in eine Richtung weist.“
„Die Vergangenheit war nie ein glücklicherer Ort als die Gegenwart. Wir haben nur ihre Schmerzen und Sorgen vergessen.“ … „Wenn Sie so viele Jahre auf dem Buckel haben wie ich, werden Sie verstehen, dass Erinnerung nichts anderes ist als Wehmut über unsere verlorene Jugend, mehr nicht.“
Einer Frau empfiehlt er die Lektüre von Laurence Sterns Tristam Shandy. Auf die Frage, ob er den Roman denn selbst gelesen habe, kommt er ins Schlingern: : „Ich wurde röter als der Einband des Buches, hatte ich es doch nie zum Ende gelesen.“ So geht es den Rezensenten auch, aber ich habe mir vorgenommen, dies zu ändern!
Was in meinem Falle auch auf den Don Quijote zutrifft. Diesen Roman stellt der Autor auf ein Podest: „…Don Quijote wird uns immer und ewig daran erinnern, dass das Lesen eine subversive Tat ist, ein permanenter Protest gegen Unglück und Ungerechtigkeit.“
Die Frage, ob es unserem Bibliotherapeut gelingt, der Schwester des dementen Bruders zu helfen, beantworte ich nicht. Dazu muss man diesen lesenswerten Roman selbst lesen. Der ist eine Verbeugung an viele große Schriftsteller (eine Patientin beklagt übrigens, dass er nur Autoren empfehlen würde!) insbesondere an Borges, aber das wundert nicht, wenn man weiß, dass der Autor Bibliothekar von Beruf ist
Ein Lesevergnügen!