Ich habe die „Italienische Reise“ Goethes häufiger gelesen, die Lektüre hat mich stets inspiriert. Ich freute mich, als ich Verlagszusammenstellungen über Aufsätze anderer Literaten las, die ebenfalls von Italien handeln. Hermann Hesse und Alfred Kerr berichteten von ihren „Zauberorten“. Nun erwartete ich von dem im Insel Verlag erschienenen Buch „Rilke in Italien“ von Birgit Haustedt  Ähnliches.

Dieses Buch ist allerdings sehr viel mehr. Rilke, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, hat keine „Italienische Reise“ geschrieben. Allerdings existieren von ihm unzählige Briefe an seine Frau Clara Westhoff, an seine Mutter an die anderen Frauen, die ihm nahestanden, insbesondere Lou Andreas-Salomé und Marie von Thurn und Taxis. Auch gibt es ein „Florenzer Tagebuch“ auf das zurückgegriffen werden kann.

Das Besondere an diesem zu besprechenden Buch ist die Kombination aus Berichten über die Aufenthalte des Dichters und ein Blick auf die Orte und Landschaften heute. Was kann man (noch) sehen von dem, was Rilke vorfand? Man kann mit diesem Buch im Wortsinn auf den Spuren des Dichters wandeln!

Darüber hinaus stellt das Buch Bezüge her zu den Menschen, die damals an den Orten lebten, die auch Rilke aufsuchte. So erfahren die Lesenden etwas über das Reform Sanatorium von Dr. von Hartungen in Riva del Garda. „Zuweilen griff der Homöopath und Arzt zu unkonventionellen Methoden: Den Brüdern Mann verordnete er gemeinsames Rudern auf dem See, Sigmund Freud verbot er kategorisch das Zigarrenrauchen und riet wenigstens zu besserem Wein, wenn der nicht auf sein tägliches Glas verzichten mochte.“

Wir erfahren, dass Rilke mit einem Reiseführer ausgestattet war, aus dem er in seinen Briefen auch fröhlich zitierte: „All die Informationen konnte Rilke übrigens in seinem Exemplar des Baedeker Mittelitalien und Rom von 1903 nachlesen.“

Wir werden darauf hingewiesen, dass Rilke es mit seinen Gedichten schafft, große Geschichte mit Alltäglichem zusammenzubringen. Die Autorin resümiert: „So gesehen hat der Dichter dem Rom, das er schon zu seiner Zeit als von in Kunstdingen ahnungslosen und gleichgültigen Touristen ruiniert ansah, seine poetische Wahrnehmung entgegengesetzt und damit einen Beitrag zu einer anderen Art des Reisens und Schauens geleistet.“

Immer wieder zitiert sie Auszüge oder auch ganze Gedichte Rilkes und schafft es, den Lesenden diese Sprachkunstwerke näher zu bringen. Die Gedichte fangen uns ein und wir wollen mehr und mehr davon.

Relief Orpheus Eurydike Hermes: „Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg in großen Bissen; …ihr Geschlecht war zu wie eine junge Blume gegen Abend, Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau, die in des Dichters Liedern manchmal anklang, nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.“ Ich war von der Lektüre geradezu berauscht!

In Neapel verweist sie auf die damaligen Auswandererströme: „Mehr als 90000 Menschen verließen allein 1906 von Neapel aus ihre Heimat. Wo heute die überdimensionierten Kreuzfahrtschiffe für betuchte TouristInnen ankern, legten früher die großen Auswandererschiffe an.“

Wir lernen auch den Dichter kennen, der nie eine eigene Wohnung besaß, der sich weigerte für seine Tochter aufzukommen: „Rilke ließ sich nicht beeindrucken und weigerte sich standhaft, für das gemeinsame Kind zu zahlen. Seine Begründung: Statt eines konkreten Heims für die Familie erbaue er symbolisch in der Kunst ein viel größeres Haus.“

Ein Schnorrer, der mit den Damen, die ihm Unterkunft boten, teilweise recht fordernd umsprang, der Ruhe und Abgeschiedenheit verlangte: „Stefan Zweig bemerkt in seinem Erinnerungsbuch Die Welt von Gestern über den von ihm bewunderten Dichter: ‚Nicht minder als Gemessenheit im Betragen, waren ihm Ordnung, Sauberkeit und Stille geradezu physische Bedürfnisse; in einer überfüllten Trambahn fahren zu müssen, in einem lärmenden Lokal zu sitzen, verstörte ihn für Stunden. Alles Vulgäre war ihm unerträglich.“‘ Denn, so ein anderer mit dem Dichter befreundeter Zeitzeuge: „… ‚denn im Letzten war er der Verwöhnung zugetan‘, so Kassner.“

Eine besondere Beziehung scheint ihm mit Venedig zu verbinden. Auch wenn Goethe 1786 bereits festgestellt hatte: „Von Venedig ist alles gesagt und gedruckt, was man sagen kann“, setzte sich Rilke mit dieser großartigen Stadt immer wieder auseinander: „…- die ganze Stadt ist ein europäisches Gesamtkunstwerk, ‚beladen von Literatur‘, besungen, bemalt, bedichtet, beschrieben. Eine eigene Haltung zu Venedig zu finden war für den Dichter eine lebenslange Aufgabe.“

Mich hat dieses Buch begeistert und erneut meine Sehnsucht nach Italien entfacht sowie auf die intensivere Auseinandersetzung mit den Gedichten Rilkes, nicht zuletzt den Duineser Elegien!

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