In Nootebooms grandiosem Venedig-Buch (siehe oben) empfiehlt der holländische Autor ein anderes Buch über Venedig: „Das andere Venedig“ von Predrag Matvejević. Cees Nooteboom trifft mit dieser Empfehlung ins Schwarze.
Der Autor interessiert sich für die nahezu unsichtbaren Dinge in der Stadt. Für Pflanzen, die in kleinen Mauerrissen wachsen, für ausgestorbene Berufe, für nicht mehr vorhandene Spezialitätengeschäfte. Und bei all diesen Erkundungen, ist sein Tonfall poetisch, dieser Stadt angemessen: „Zwischen Sonnenuntergang und Mondaufgang gibt es kurze Zeitabschnitte, die sich für ein Gebet und für Sehnsucht eignen.“
Er besucht Klostergärten mit vielen verschiedenen Kräutern, die dem „normalen“ Touristen, sollte der sich dafür überhaupt interessieren, verschlossen bleiben. „Diese bescheidenen Kräuter heilen vielleicht auch die Intoleranz, doch leider gibt es nicht genug davon.“
„Die Skulpturen an den Mauern liegen oft dicht neben Mauerpflanzen – die einen zerbröckeln und verschwinden, die anderen verwelken und sterben ab. So wie Venedig.“
Und fast jeder schreibt über die heiterste Stadt: „Fast jeder, der in dieser Stadt war und etwas mit Literatur zu tun hat, fühlt sich verpflichtet, das aufzuzeichnen, was er gesehen oder ‚entdeckt‘ hat.“
Wenn der Autor über die Bäcker und die Brote schreibt, die aus Venedig stammen, klingt das wie folgt: „Die einstigen biblischen Brotlaibe, so wie Giotto sie malte, die den Vorstellungen der Alten Welt und des Mittelalters entsprachen, sind aufgegangen und größer geworden. Sie wurden von der neuen Ära und einer neuen Weltanschauung inspiriert, Auf den Letzten Abendmahlen erschien das Brot der Renaissance, aufgebläht von Hefe.“
Mit dem Autor betrachten wir die Böden von Kirchen, nicht nur deren Decken: „Indem wir nur die Decke und nicht den Boden, auf dem wir stehen, betrachten, den Himmel und nicht die Erde, die uns hält, gewöhnen wir uns eine gewisse Demut ab.“
Der Autor fragt sich auch: „Ich habe mich häufig gefragt, ob Venedig hinreichend nostalgisch ist – auf echte und nicht gekünstelte Weise. Kann es sich selbst auf würdige Art nachtrauern, all dem, was es einst war und was es seit langem nicht mehr ist, was es alles hätte sein können und was es wahrscheinlich nie mehr sein wird?“
Und an anderer Stelle hatte er schon eine Antwort gegeben: „Vielleicht ist diese Stadt wahrhaftiger als in der Realität.“
Ich habe dieses Buch sehr gern und mit Erkenntnisgewinn gelesen!
