Schon öfter habe ich berichtet, dass ich mich bei älterer Literatur gern von dem wunderbaren Roman-Verführer „Die wunderbaren Falschmünzer“ von Rolf Vollmann leiten lasse. Nachdem ich die Romane der beiden älteren Brontё-Schwestern gelesen hatte, wollte ich jetzt auch einen Roman der jüngsten lesen. Vollmann sagt dazu: „…die kleine Anne, die zwei Jahre darauf sterben wird (ein weiteres Buch wird sie noch machen), bringt Agnes Grey heraus, ein ganz und gar dilettantisches Buch (die Frage ist sicher, ob sie nicht alle drei, diese Schwestern, dilettantisch waren – sie waren es -, aber Anne war nichts als das) …

Mich hat dieses Urteil nicht abgeschreckt, den Roman zu lesen. Agnes arbeitet als Gouvernante und versucht, verzogene Kinder ein wenig zu bessern. Wir lesen die Aufzeichnungen der Miss Grey und ihr Stil ist naiv, ist dilettantisch. Aber es ist die Figur, die so schreibt und spricht und denkt, nicht die Autorin Anne Brontё. Es gehört eine Portion Talent dazu, über 200 Seiten, diesen Stil beizubehalten!

Hier nur zwei kurze Beispiele: „Aber unsere Sehnsüchte sind leicht entflammbar: In der Schmiede des Lebens sprühen Feuer und Stahl unaufhörlich Funken, die sofort verlöschen, wenn sie nicht zufällig mit unseren Wünschen in Berührung kommen; dann aber entfachen sie auf der Stelle ein Feuer, und die Flamme der Hoffnung leuchtet auf.“

„Ich wurde genauso behandelt, wie ich es mir wünschte: Es fehlte nicht an lieben Worten und noch lieberen Blicken: zu zart und sanft, um sie in Worte zu fassen, und daher unbeschreiblich – doch tief im Herzen empfunden.“

Und der letzte Satz ist umwerfend, es wäre schön, wenn andere Schreibende sich diesen Satz zu Eigen machen könnten: „Und nun habe ich wirklich genug erzählt.“

Gern zitiere ich noch aus dem sehr lesenswerten Nachwort der Übersetzerin Stefanie Kuhn-Werner: „Anne die Unbekannteste der Brontё-Schwestern, wurde am 17. Januar 1820 als jüngstes von sechs Kindern geboren. Die außergewöhnlichen Lebensumstände, unter denen die Brontёs aufwuchsen, haben in ihrem literarischen Werk deutlich Spuren hinterlassen, und die Berücksichtigung dieser besonderen Gegebenheiten erleichtert den Zugang zur gesamten Brontё-Literatur.“

Und noch ein weiteres Zitat soll meine kurze Kritik beschließen: „Gewiss wäre es übertrieben, in ‚Agnes Grey‘ oder ‚Die Herrin von Wildfell Hall‘ Meisterwerke viktorianischer Romankunst zu sehen; doch besitzen beide Romane eigene literarische Qualitäten, aufgrund derer Anne Brontё es verdient hätte, in einer Reihe mit ihren Schwestern genannt zu werden und nicht nur als deren blasses Abbild zu gelten.“

Und genau diesem Urteil schließe ich mich an und widerspreche dem geschätzten Rolf Vollmann.

Und nun habe ich wirklich genug geschrieben!

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