Ab und an wurde ich bereits gefragt, wie ich meine Lektüre auswähle.

Es gibt erstens meine gut gefüllten Regale, in denen immer noch viele ungelesene Werke auf mich warten. Diese stammen entweder aus dem Nachlass meines Vaters oder ich habe sie im Laufe der Jahre, auf Anraten der Buchhändler meines Vertrauens gekauft.

Zweitens erwerbe ich Bücher nach der Lektüre von Rezensionen oder dem Abhören von einschlägigen Podcasts.

Und dann gibt es drittens die Seltenheit eines „Spontankaufs“. So griff ich unlängst zu einem Buch, das auf einem Büchertisch in einem Museum lag, dessen Umschlag von einem Bildausschnitt eines Gemäldes von Giovanni Boldoni geziert wurde. Es ist das Porträt des Marie Joseph Robert Anatole Comte de Montesquiou-Fezensac. Ich habe bewusst seinen vollen Namen hier aufgeschrieben, weil diese Persönlichkeit offensichtlich nicht nur das literarische Vorbild für Figuren im Proust-Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ war, sondern auch für die Hauptfigur im Roman „Gegen den Strich“ von Joris-Karl Huysmans. Ich griff zu dem Buch, weil mich erstens dieses Porträt beeindruckte und zweitens, weil ich im Rahmen meiner Lektüren über bedeutende Maler des 19. Jahrhunderts auf den Namen Huysmans gestoßen war. So unterstützte er die von Claude Monet initiierte Geldsammlung, um der Witwe von Éduard Manet das Gemälde „Olympia“ abzukaufen und so der französischen Öffentlichkeit zu erhalten.

Huysmans war Angestellter des französischen Innenministeriums. Er schrieb Kunstkritiken und Artikel in literarischen Zeitschriften. Schließlich schrieb er einige Romane. Insbesondere, den hier zu besprechenden.

Ich gestehe freimütig, dass dieses Buch mir viel abverlangte. Ich habe eine gute humanistische Bildung genossen. Doch ein Kapitel über die Veränderungen des antiken Lateins zum Latein der Kirche des Mittelalters überforderte mich. Des Essenteintes, so heißt unser im Luxus gebadeter Protagonist, hat in Paris das Leben in vollen Zügen genossen, wird dieses Lebens überdrüssig und zieht sich auf das Land zurück. Alles wird in dem Haus umgebaut. Aber der Mann wird nicht froh in dieser Einöde. Schwermütig, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprach man von Neurosen, wird er immer kränker. Der Arzt verfügt, dass unser Held zurück in die französische Metropole ziehen muss.

Es bleibt offen, was schließlich passieren wird.

Einer der vielen Höhepunkte dieses handlungsarmen Romans stellt für mich der Plan Des Essenteintes dar, eine Reise nach London zu unternehmen. Mit viel Gepäck bricht er nach Paris auf. Da er noch Zeit hat kehrt er ein und speist ausgiebig. Um ihn herum sitzen schon viele Engländer. Die Zeit schreitet voran und „Jetzt hatte er gerade noch Zeit, um im Laufschritt den Bahnhof zu erreichen, doch ein unendlicher Widerwille vor der Reise und ein unabweisliches Bedürfnis, still sitzen zu bleiben, brachen sich immer gebieterischer, immer beharrlicher Bahn.“

In Rolf Vollmanns „Die wunderbaren Falschmünzer“ erfahre ich, dass dieser Roman das erste „Kultbuch“ der Epoche war.

Ich spreche keine allgemeine Leseempfehlung aus, weil dieser Roman nur etwas für Lesende ist, die vor nichts zurückschrecken.

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