Ich bin an der Geschichte meines Heimatortes sehr interessiert. Daher zögerte ich nicht, das Buch „Menschen am Kaiserdamm“ des Journalisten Oliver Ohmann käuflich zu erwerben. Und um es vorwegzunehmen, ich habe diesen Kauf nicht bereut.

Der Autor, der in einer Wohnung am Kaiserdamm aufwuchs, flaniert die Straße „rauf und runter“. Er bringt uns dabei die dort zu verschiedenen Zeiten ansässigen Menschen näher. Ich erspare mir die Aufzählung. Er schärft Menschen wie mir, die des Öfteren am Kaiserdamm zu tun haben, die Sinne für dessen Architektur und vor allem eben für die Anwohnenden.

Er bezieht in seine Betrachtungen den Namensgeber der Straße ein: „Der Historiker Hagen Schulze beschrieb Wilhelm als einen Mann der Pose und Äußerlichkeiten. Im Grunde ein arroganter ewiger Kadett und technikverliebter Träumer. Nicht dumm, aber bigott erzogen, absurd romantisch und seelisch verletzt. Seine autokratische Herrschaft war geprägt von Konservatismus, Militarismus und Weltmachtpolitik. In Wirklichkeit war das Kaiserreich innerlich zersplittert. Soziale, territoriale und konfessionelle Gräben wurden nie beseitigt. Die ‚innere Reichsgründung‘ war nicht gelungen. Wie trat der Staat auf? Säbelrasselnd, mit überfrachteten Symbolen und neobarocker Architektur. Die ‚Puppenallee‘ im Tiergarten ist ein Beispiel dafür, der Berliner Dom, die Gedächtniskirche und der als Prachtstraße angelegte Kaiserdamm.“

Eine Wohnung an dieser Straße musste man sich leisten können: „Eine Sechszimmerwohnung am Kaiserdamm war 1912 für 1800 Mark Jahresmiete zu haben. Das Durchschnittseinkommen damals 90 Mark im Monat,“

Er schildert ausführlich den Bau der U-Bahn, die waghalsige Konstruktion, „die U-Bahnschienen in eine eiserne Galerie direkt unter die (Kaiserdamm)-Brücke“ zu hängen. Er berichtet, dass ein Teil der Eisenkonstruktion (Adlerstatuen) der Brücke im 2. Weltkrieg eingeschmolzen wurde und setzt fort: „Eine friedliche Fußnote: Die erste Kaiserdamm-Brücke von 1906 ist nicht ganz aus Berlin verschwunden. 32 Meter Geländer wurden auf dem U-Bahnhof Fehrbelliner Platz als Treppengeländer ‚recycelt‘.“

Ohmann berichtet über die vielen Opfer der Naziherrschaft, die Anwohnende waren. Und auch von dem Leid ihrer Hinterbliebenen. So war mir nicht gegenwärtig, wie spät erst die Hinterbliebenen der Opfer eine Entschädigung erhielten. So im Falle der Mutter von Cato Bontjes van Beek, die Mitglied der Widerstandsgruppe um Harro und Libertas Schulze-Boysen war: „Die Mutter forderte nach dem Krieg 1948 juristische Rehabilitierung und eine Entschädigung für Haft und Hinrichtung ihrer Tochter. Elf Jahre später erhielt sie 1959 eine kleine Summe. Erst 1998 hob der Bundestag pauschal alle nationalsozialistischen Unrechtsurteile auf.“

Gänzlich neu für mich war, dass nach der Eroberung Preußens durch Napoleon um Berlin im Jahre 1808 Feldlager für einige Monate eingerichtet wurden: Napoléonbourg (im heutigen Westend/Neu-Westend) war eins von ihnen!

Einen kleinen Kritikpunkt möchte ich nicht verschweigen. Der Autor „weitet“ den Kaiserdamm, dessen Einzugsgebiet, manchmal ein wenig arg aus. Die Messehallen am Funkturm beispielsweise subsummiere ich nicht unter dem Kaiserdamm. Aber sei’s drum. Er zitiert so einen von Deutschlands klügsten Köpfen: „1930 hielt Albert Einstein die Eröffnungsrede der Funkausstellung. Wobei er am Kaiserdamm die weisen Worte sprach: ‚Sollen sich alle auch schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.‘“

Ich danke dem Autor für dieses Buch und verbinde diesen Dank mit einer klaren Leseempfehlung!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert