Zu Beginn eines jeden sehr empfehlenswerten Podcasts „Augen zu“ fragt Giovanni di Lorenzo den studierten Kunsthistoriker und Erfolgsautor Florian Illies: „Wenn Du die Augen schließt und an ‚X‘ denkst, was siehst Du dann?“

Diese Frage muss sich der Autor von „1913“ und „Liebe in Zeiten des Hasses“ selbst auch gestellt haben, als er daran dachte, dass 2024 der Geburtstag von Caspar David Friedrich zum 250. Male gefeiert werden würde. „Was sehe ich, wenn ich an CDF – so möchte ich den Maler in diesem Text gern abkürzen – denke?“ und exakt diese Frage beantwortet der Autor. Dabei bedient er sich der erfolgreichen Methode, kleine Geschichten um einzelne Ereignisse zu spinnen, mögen sie nun stimmen oder nicht. Sie lesen sich halt gut. Ob an einem bestimmten Tag vor über 200 Jahren die Sonne schien oder es eher bewölkt, war lässt sich nicht sagen, aber damit zu beginnen, dass es am Morgen des 6. Juni 1931 über München leuchtet, ist genial! (Das Vorspiel auf dem Segler lasse ich aus!) Das Buch in vier Kapitel gegliedert und sie auf die Urelemente zu beziehen, ist ebenso klug. Es enthebt den Autor und die Lesenden streng chronologisch vorzugehen. Aber eine Zeittafel gönnt uns der Autor am Ende dann doch noch.

An dem erwähnten Junitag brennt der Glaspalast und das Feuer vernichtet unter anderem einige der Gemälde von CDF. Und die Lesenden erfahren in diesem Kapitel, dass noch sehr viel mehr Gemälde dieses Romantikers dem Feuer zum Opfer fielen. Was aber Illies auch nicht lassen kann, ist Personen mit dem Geschehen zu verknüpfen, die an anderer Stelle (meistens) noch benötigt werden. So hat er in einem seiner „1913“ Bände Hitler durch einen Wiener Park laufen lassen, durch den auch Lenin öfter spazierte. In dem CDF-Buch nun wachen Hitler und dessen Nichte durch die Sirenen der Feuerwehr auf. So etwas ist schlicht überflüssig, lässt sich aber steigern. Beispiele gefällig?

Beispiel eins: „Vielleicht kreuzen sich also an einem Julitag des Jahres 1837 im Biergarten des Gasthofes Blasewitz bei Dresden die Wege der zwei ungewöhnlichsten deutschen Romantiker, von Caspar David Friedrich und Richard Wagner: eines Malers, der fast schon vergessen, und eines Komponisten, dessen Zeit fast schon gekommen ist.“

Beispiel zwei: Der Autor berichtet von dem Tod der letzten Nachfahrin Friedrichs: „…und stirbt erst 1977, kinderlos, mit ihr werden also die Gene Caspar Davids an der beschaulichen niedersächsischen Ihme zu Grabe getragen. Nur ein Jahr später wird in Hannover der junge Rechtsanwalt Gerhard Schröder zum Vorsitzenden der Jusos gewählt.“

Beispiel drei: Der Autor berichtet über das Gemälde „Auf dem Segler“, das in der Petersburger Eremitage hängt, für eine deutsch-russische Ausstellung nach Dresden ausgeliehen wurde und im Februar 2022 wieder nach St. Petersburg zurückkehrte. „Das Bild hängt gerade wieder in St. Petersburg, und Russlands Krieg gegen die Ukraine hat begonnen, gerät ausgerechnet dieser kleine Hafen in Wiek wieder in den Blick der Weltgeschichte.“ Und der Autor berichtet auf fast einer Buchseite von der Crew, die von diesem Hafen aus aufbrach, um die Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 in die Luft zu sprengen.

Wo bleibt das Positive?

Das grandiose an der Methode Illies ist, dass es kaum stört, kaum ins Gewicht fällt, weil auch dieses Buch so viel schöne Seiten enthält. Kluge Feststellungen und wichtige Zitate. Auch hierzu nun einige Beispiele!

Beispiel eins: Er berichtet, nein er schwärmt über das Gemälde „Das Große Gehege“: „Denn der Himmel glüht wie Feuer, das Wasser steht majestätisch still, die Erde schweigt und die Luft flüstert uns ein Geheimnis zu. Friedrich lässt hier aus dem Tosen der vier Elemente plötzlich den Zauber der Stille entstehen.“

Beispiel zwei: Zum Mönch am Meer: „Es formuliert letztlich die Paradoxie des Glaubens: eine Aufrechterhaltung der Hoffnung im Wissen um deren Aussichtlosigkeit.“

Beispiel drei: Danke an den Fund des folgenden Zitats: „Frage an Peter Sloterdijk: ‚Was macht den >Mönch am Meer< so unerhört?‘ Seine Antwort: ‘Es ist das erste Bild der Auflösung des Subjekts in der Substanz‘.“

Beispiel vier: Der Autor weist die Lesenden auf Rosalba Carriera hin. Im letzten Jahr gab es in Dresden eine sehr sehenswerte Sonderausstellung. „Sehr gerne geht CDF mit seinen auswärtigen Besuchern ins Johanneum neben der Frauenkirche, um dort in dem extra eingerichteten ‚Kabinett der Rosalba‘ die Pastelle von Rosalba Carriera zu sehen. Vor allem von der Darstellung der vier Elemente, die sie 1746 für den sächsischen Hof gemalt hat, dem Carriera einen großen Karriereschub zu verdanken hat, ist er begeistert.“

Zwei kleine Hinweise, die sich eher an die Lektorin richten: 1807 gab es noch kein Dynamit. Das erfand Alfred Nobel erst sechzig Jahre später und Wolken sind keine Gebilde aus Wasserstoff, sondern aus Wasser.

Und typisch Illies, er kann es nicht lassen: „Am 18. April 1820 fällt in Friedrichs Geburtshaus in Greifswald ein großes Selbstporträt des Künstlers von der Wand. Es ist die Zeit, in der sein Absturz beginnt.“

Und trotz aller Schwächen, aller unnötigen Bemerkungen, möchte ich die Lektüre dieses Buches empfehlen. Zitiert der Autor doch, als er sich mit dem fast völligen Verschwinden aus dem öffentlichen Bewusstsein des Malers auseinandersetzt, Rainer Maria Rilke: „Die Geschichte ist das Verzeichnis der Zufrühgekommenen. Da wacht immer wieder einer in der Menge auf, der in ihr keine Ursache hat, … Rücksichtslos redet Zukünftiges durch ihn; und seine Zeit weiß nicht, wie sie ihn werten soll, und in diesem Zögern versäumt sie ihn…Aber Jahrhunderte später, …dann wacht er wieder auf und geht näher und als Zeitgenosse durch den Geist seiner Enkel.“

Fragte man aber mich, woran ich denke, wenn ich bei geschlossenen Augen an CDF denke, kommen mir die wundervollen Gemälde in den Sinn, die vor allem in Dresden, Berlin und Hamburg zu besichtigen sind.

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