Ich möchte einen Roman feiern, ich möchte einen Autor feiern!

Ein Feuilletonist gab unlängst, gefragt nach lesenswerten Romanen aus der Ukraine, den Rat, keine zu lesen, die nach dem Beginn des Angriffs der Russen entstanden sind. Die Gefahr sei groß, dass wirtschaftliches Interesse die literarische Qualität deutlich übersteigen könnte.

Einen wichtigen Roman, der im Donbass spielt von Andrej Kurkow, „Graue Bienen“, hatte ich schon vor geraumer Zeit gelesen, nun las ich „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ von Serhij Zhadan.

Über den Inhalt werde ich nicht viel verraten. Nur so viel, dass ein junger Mann auf der Suche nach seinem Bruder in seine Heimatregion zurückkehrt und es in der verwickelten Story nur so von schrägen Typen wimmelt. Dabei verliert der Autor nichts aus dem Blick. Kleine Details werden viele Kapitel später bedeutsam oder können zumindest werden.

Der Roman ist voller lockerer Sentenzen, die die Atmosphäre der Zeit nach Unabhängigkeit der Ukraine widerspiegeln

„Wenn du zu tun hast, denkst du weniger an die Korridore der Zukunft, die du ohnehin durchschreiten musst.“

Die Abgase eines „Ikarus-Busses“: „Der Geruch ist unverwechselbar, so riechen Leichen nach der Auferstehung.“

„Ich würde mir ein Haus kaufen. In Afrika. – Wozu brauchst du ein Haus in Afrika? – Ich wollte schon immer in einem Land leben, wo es keinen Rassismus gibt.“

„Wir nehmen unseren Körper als etwas Gegebenes hin, das wir ein für alle Mal bekommen haben. Daher erscheint uns jedes Leiden als unveränderliche Katastrophe, die uns das Wichtigste raubt – unseren Seelenfrieden.“

Ansagen auf dem Bahnhof: „…die Buchstaben und Ziffern rieselten wie trockener Vogelkot aus dem Lautsprecher …“

„Das Leben ist überhaupt ein schwer verständlich Ding. Man weiß nie, was sich unter der Oberfläche versteckt. Da scheint dir, du wüsstest alles, hättest alles gesehen, aber wie es wirklich gewesen ist, kannst du dir nicht einmal vorstellen.“

Der Roman knistert erotisch: „Sie liebten sich zum ersten Mal, hastig und der Zeit nacheilend, die unwiederbringlich verrann, versuchten, all die Tage nachzuholen, Ebbe und Flut, Hochs und Tiefs. Sonnige Nachmittage und neblige Abende, sie zogen sich nicht mal aus, sie öffnete einfach den Reißverschluss ihrer Jeans und ließ ihn herein, und er fühlte verwundert, wie einfach und tief man in eine Frau eindringen kann. Ihr BH leuchtete im Mond wie eine Möwe, der nasse Ufersand stopfte sich in ihre Haare und sickerte ihr schamlos unter die Kleider.“

Die Originalausgabe des Romans erschien 2010 unter dem Titel „Vorošilovgrad“. Aber dieser Ort steht auch nicht im Mittelpunkt der Handlung. Der Jazz aber ebenso wenig. Und der deutsche Titel taucht erst auf Seite 329 meiner Taschenbuchausgabe auf.

Das ist aber zweitrangig; was zählt ist, dass eine fantastische, literarische Reise hinter den Lesenden liegt. Und natürlich bleiben die Lesenden nicht unberührt, wenn beispielsweise von Mariupol oder Odessa im Roman geschrieben wird. Dieser verdammte Krieg überlagert alles.

Lesen Sie diesen großartigen Roman!

Vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich Ihnen empfehle.

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