Unlängst stellte ich hier den Roman „Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte“ von Susan Fletcher vor. Wir lasen die Geschichte um zwei Gemälde und die Tatsache herum, dass van Gogh ein Jahr (1889/1890) in der „Irrenanstalt“ von Saint-Rémy etwa 30 Kilometer von Arles entfernt verbrachte.

Nunmehr legt Simone Meier einen weiteren „van Gogh Roman“ vor: „Die Entflammten“. Frau Meier hat sich gefragt, wie es eigentlich geschehen konnte, dass nur knapp zehn Jahre nach dem Tode des Malers, von dem zu Lebzeiten nur wenige Gemälde Käufer fanden, die Kunstwelt ein so gesteigertes Interesse an seinem Werk entwickeln konnte. Und ihre Antwort lautet: Johanna van Gogh-Bonger. Sie ist die Gattin von Theo, Vincents Bruder, der das Malergenie finanziell und materiell unterstützte, seinen Bruder aber nicht einmal um ein Jahr überleben wird. Die Syphilis rafft ihn dahin und Johanna und ihr kleiner Sohn Vincent Willem bleiben zurück.

Nun hätte uns diese Autorin einfach zurückholen können in die Zeit vor etwa einhundertdreißig Jahren und es wäre wahrscheinlich ein sehr lesenswerter, spannender und informativer Roman dabei herausgekommen. Das tut Frau Meier aber nicht. Sie erfindet (?) die Autorin Gina, eine Studentin der Kunstgeschichte, Tochter eines Schriftstellers, der allerdings nur ein „Werk“ zustande brachte und nunmehr als „Gebrauchsliterat“ in Italien von der Familie (es gibt noch eine Schwester, die Mutter und die Großmutter) getrennt lebt. An einem zweiten Roman scheitert er regelmäßig. Gina will eine Seminararbeit schreiben, an einen Roman hat sie nicht gedacht.

Wir Lesenden steigen in den Roman ein: „Ich war eine faule Frau. Wenn sich Arbeit vor mir aufzutürmen drohte, begegnete ich ihr mit äußeren Vorzügen und innerer Leere. Die Vorzüge lenkten den Gegner ab. Die Leere verhinderte ein schlechtes Gewissen. Beides führte zuverlässig dazu, dass sich die Arbeit verflüchtigte. Doch dann wurde alles anders.“ Das ist ein schöner Einstieg in einen Roman und macht Appetit auf mehr.

Später lesen wir: „Doch Jo vermochte mühelos zu mir vorzudringen, vielleicht, weil man Tote nicht gewaltsam auf Distanz halten muss, und ich wusste, was auch immer das wird mit uns, für die nächste Zeit wird sie mich als zweite Stimme in meinem Kopf begleiten, wird Teil von mir sein, und irgendwann werde ich alles, was ich über sie zu wissen glaube, aufschreiben.“ Nun ja, das können wir Lesenden nicht ändern, jedoch leuchtet das Konstrukt des Romans mir nicht ein. Frau Meier arbeitet vielleicht eigene Aspekte ihrer Jugend auf, vielleicht verirren wir uns sogar in einem autofiktionalen Gespinst, wobei doch das Leben von Jo so spannend ist, dass ich nicht die Geschichte der Gina benötigte.

Johanna ist eine intelligente und für die Zeit, in der sie lebt, sehr emanzipierte Frau. Das Zitat, als sie sich zum ersten Mal mit Theo trifft und sie die Gemälde im Rijksmuseum betrachten, verdeutlicht dies eindrucksvoll: „Sie findet Frauen wie in Puppenstuben eingesperrt, sie wischen den Boden, musizieren oder lesen einen Brief, sind in sich gekehrt und nachdenklich, eingesperrte kleine Vögel, die höchstens noch in einem engen Hinterhofgarten Zuflucht finden können, doch hinter dem Rosenbusch steht schon die nächste Mauer.“ Das will die junge Frau nicht und wir erfahren, dass das Paar eine Wohnung sucht, in der es auch einen eigenen Raum für sie geben sollte. Und nun übertreibt die Autorin, Virginia Woolf zitierend: „Von einem Zimmer, das Jo zugutekäme, einem Zimmer für Jo allein.“ Ich wollte Frau Meier zurufen, ja, ich habe das verstanden!

Sie berichtet von der Pariser Weltausstellung, wo tanzende Mädchen aus Java auftreten. Und ich habe den Eindruck, es kommt nur in diesen Roman, um deutlich zu machen, dass Frau Meier, wie ihr Leser übrigens auch, gegen diese Formen der kulturellen Aneignung ist. Und ja, der Wurf von Tomatensuppe gegen ein „Sonnenblumenbild“ des Meisters passt auch noch hinein.

Wie Johanna durch „Marketingstrategien“ die Gemälde bekannt und begehrenswert macht (Ausstellungen der Werke ihres Schwagers durch gestaffelte Eintrittspreise, so dass weniger Bemittelte sich die Ausstellung ebenfalls leisten konnten sowie durch den Verkauf von Postkarten mit Vincents Werken. Schließlich durch Verknappung der zum Verkauf angebotenen Gemälde, um den Preis nicht verfallen zu lassen), ist beeindruckend zu lesen. Aber schon taucht wieder Gina auf und der Zauber verfliegt.

Und ich denke mir folgende Kurzkritik: Gina erzählt zu viel über Gina und zu wenig über Jo!

Es ist bedauerlich; dieser Roman hätte ein wichtiger, ein bedeutender über eine großartige Frau sein können. Die Autorin hat dafür die allerbesten Voraussetzungen.

Mich konnte der Roman leider nicht entflammen!

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