Ich wollte anlässlich des oben genannten Geburtstags vom Autor etwas für mich Neues lesen. Vor meinem Bücherregal stehend ließ ich den Blick über die noch ungelesenen Romane schweifen: die Joseph-Romane schloss ich aus, weil ich über die ersten hundert Seiten des ersten Teils nicht hinaus gekommen war und den Dr. Faustus will ich mir für später aufsparen. So blieb mein Blick bei der Sammlung der Erzählungen von Thomas Mann hängen.
Wenn ich mich vor längerer Zeit auch schwertat, den Tod in Venedig zu lesen und die Lektüre des Tonio Kröger (Schullektüre) zu lange her war, so griff ich zu diesem Band und las einige großartige „Geschichten“.
„Tristan“ ist die Vorstufe zum Zauberberg. „Mario und der Zauberer“ eine Auseinandersetzung des Autors mit dem Mussolini-Faschismus. Darüber hinaus sind so einfühlsam die Nöte der Eltern beschrieben, wenn eine Veranstaltung länger dauert als gedacht und die Erziehenden ihr einmal gegebenes Wort eigentlich nicht halten wollen, aber die Kinder auch nicht enttäuschen wollen.
„Die Betrogene“ ist eine erschütternde Geschichte über das Altern, die Hoffnung auf einen zweiten Frühling und den brutal hereinbrechenden Tod. „Wälsungenblut“ eine Auseinandersetzung mit dem Inzest. Teilweise überzogen dargestellt und antisemitisch aufgeladen. „Der kleine Herr Friedemann“, der als Baby durch einen Unfall einen bleibenden körperlichen Schaden davonträgt und an dieser Missbildung leidet und zerbricht.
Eine sehr kurze Geschichte über einen armen vom Leben stiefmütterlich behandelten Menschen, der auf dem „Weg zum Friedhof“ nicht zurückkehren wird.
Schließlich ein Bild aus dem Leben der Manns kurz nach dem ersten Weltkrieg. Wundervoll verpackt in die Geschichte „Unordnung und frühes Leid“.
Der Erzähler Thomas Mann ist ein großer seines Fachs, ein großer Stilist, einer unserer größten Schriftsteller und wer daran zweifeln sollte, der lese diese Erzählungen!
